Grundkurs im Wintersemester 2020/21 (Sitzung am 26.11.2020)
Thematische Fragen an Pfarrerin Tabea Baader
Wie viele Gemeinden betreuen Sie?
„Meine Gemeinde“ ist die ESG an der Universität Augsburg, d.h. alle Studierenden, Lehrenden und Angestellten an der Uni, die Angebote der ESG wahrnehmen wollen. Für sie alle machen wir Angebote in der ESG und ich stehe als Seelsorgerin für Gespräche zur Verfügung.
Neben diesem Hauptauftrag bin ich auch Pfarrerin in der Paul-Gerhardt Gemeinde im Hochfeld und halte einmal im Monat einen Gottesdienst in der Stephanuskirche. Ab und zu bin ich auch in anderen Kirchen in Augsburg vertretungsweise zur Unterstützung meiner KollegInnen. Als Pfarrer*in der ELKB gehört es mit zum Auftrag, auszuhelfen, wo nötig.
Wie haben Sie Ihre Zusammenarbeit mit der anglikanischen Kirche (?) empfunden? Ist es in Schottland überhaupt die anglikanische Kirche, welche mehrheitlich vertreten ist?
In Schottland war ich nicht in der anglikanischen Kirche sondern in der Church of Scotland Pfarrerin. Das ist die große reformierte Volkskirche des Landes. Die Gemeindemitglieder fänden es überhaupt nicht gut, mit der anglikanischen Kirche in einen Topf geworfen zu werden 😉
Als Pfarrerin bin ich in Fort Augustus und Glengarry sehr herzlich und offenherzig empfangen worden. Obwohl ich die erste Pfarrerin dort war und noch dazu eine Deutsche haben sich die Gemeindemitglieder sofort auf mich eingelassen. Ich glaube, wir waren uns einfach sympathisch. Das heißt nicht, dass wir immer einer Meinung waren, aber wenn es ein Grundvertrauen zueinander gibt, kann man Probleme ehrlich ansprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen.
Kann ich als ein Christ, der „Sola Scriptura“ leben möchte, überhaupt Lehrer werden? Was sind Ihre Erfahrungen mit konservativen Sichtweisen, kommt es hier häufiger zu Problemen? Zum Beispiel bei der Vocatio?
Das sind zwei sehr persönliche Fragen, für die ich nur meine persönliche Antwort geben kann, die aber nicht automatisch für andere zu 100 % gelten können. Für mich bedeutet „soll scriptura“ als Prinzip, dass ich selbst die Verantwortung habe, mich mit dem Wort Gottes auseinander zu setzen. Diese Verantwortung kann mir niemand abnehmen und ich kann sie auch auf niemand anderen abschieben. Wenn es Fragestellungen im Leben gibt, für die ich als Christin eine Antwort suche, dann lese ich selbst in der Bibel und zwar nicht nur in einer deutschen Übersetzung, sondern ich schaue auch in den griechischen Text im Neuen und in den hebräischen Text im Alten Testament. Die Meinungen anderer berücksichtige ich auch, wenn ich dann noch Artikel oder Bücher zum Thema lese. Die höchste Autorität hat aber immer die Heilige Schrift und mein lebenslanges Bemühen, sie richtig zu verstehen.
Ein guter Religionslehrer/eine gute Religionslehrerin bringt meiner Meinung den Schüler*innen im gleichen Sinn bei, selbstständig zu werden, also ihnen möglichst viel Motivation und Information mitzugeben, dass sie sich selbst auf ihren eigenen Weg mit der Heiligen Schrift machen. Deshalb ist für mich „sola scriptura“ kein Widerspruch zur Aufgabe von Lehrer*innen, sondern die Vermittlung dieses Prinzips gehört für mich als Grundbestandteil mit zum Beruf eines Religionslehrers/einer Religionslehrerin. Lehrer*in zu sein heißt nicht, zu indoktrinieren, sondern anzuleiten zum eigenständigen Denken, Entscheiden und Handeln.
Mit Konservativen Sichtweisen bin ich aufgewachsen. Es gibt in der Ev.-luth. Kirche ein großes Spektrum von sehr konservativ bis sehr liberal, weil die Evangelisch lutherische Kirche in Bayern eine sehr große Landeskirche ist. Meine Gemeinde in Schottland war übrigens auch sehr konservativ. Ich persönlich würde mich eher zu den liberalen Christen zählen. Ich bin aber froh, dass so viele verschiedene Meinungen gibt, denn nur, wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, kommt ein interessanter Austausch zustande. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Gespräche mit Menschen, die Theologie und Religion komplett ablehnend gegenüberstehen finde ich deshalb auch sehr wichtig.
Konservative oder humanistische Sichtweisen werden meiner Meinung da problematisch, wo sie Gruppen pauschal verurteilen oder abwerten. Man kann zwar nicht sagen, dass das unbiblisch wäre, denn im Alten und Neuen Testament wird klar zwischen „Freund“ und „Feind“ unterschieden – Gott ist immer auf der Seite der Guten und unterstützt sie in jeder Hinsicht. Manchmal führt das zu furchtbaren Vernichtungen, wie bei der Sintflut oder dem Untergang von Sodom und Gomorra und auch diejenigen, die im Gericht nicht bestehen, haben laut Neuem Testament (Mt 25) keine Chance auf Ewiges Leben.
Als Christin ist es mir aber ein Anliegen, hier nicht wahllos in irgendwelche Vorstellungen einzustimmen, sondern hier gelten für mich die Prinzipien „solus Christus“ und „soll gratia“. D.h. die Frage ist immer, wie Jesus in einer bestimmten Situation von der Gnade Gottes gesprochen hat. Das Beeindruckende finde ich ist, dass Jesus niemanden abgelehnt hat, sondern sich die Mühe gemacht hat, sich mit den schwierigsten Menschen auseinanderzusetzen, sich um sie bemüht hat und so das getan hat, was wir heute als „Versöhnung“ bezeichnen. Es gab einmal das Motto in der ESG „offen für alle, aber nicht für alles“. Das gilt für meinen Umgang mit konservativen Christ*innen.
Persönliche Fragen an Pfarrerin Tabea Baader
Wollten sie schon immer Pfarrerin für Studierende werden? Bzw. wie kamen sie dazu?
Nein. Ich fand den Pfarrberuf meine Schulzeit über äußerst unattraktiv. Dadurch, dass mein Vater Pfarrer ist, habe ich zuhause auch eine Menge Gemeindeleben mitbekommen. Ich fand das alles schön und auch inhaltlich spannend, aber selbst Pfarrerin zu werden war mir zu verstaubt und schmuddelig.
Nach der Schule habe ich dann ein FSJ in einem Kinderheim in Berlin gemacht. Da ist mir klar geworden, dass in dieser Aufgabe, Pfarrer*in zu sein, eine tolle Grundaufgabe steckt: es geht darum, miteinander Christsein zu leben. Mit dem Evangelium wird das Leben zwar nicht einfacher, aber besser; deshalb habe ich diesen Beruf damals im Laufe meines Studiums für mich neu entdeckt. Ich könnte mir heute keine bessere Aufgabe mehr vorstellen.
Was waren die Höhen und Tiefen in Ihrem Studium? Was waren besonders ermutigende Erlebnisse?
Theologie zu studieren fand ich großartig. Eigentlich wollte ich gar nicht mehr damit aufhören. Je länger ich studiert habe, desto spannender ist es geworden, fand ich. Eine sehr wertvolle Erfahrung war für mich mein Studienjahr in Chicago. Dort habe ich einen M.A. gemacht. An der Kirchlichen Hochschule, an der ich war (LSTC), war akademisches Arbeiten immer in der Praxis verankert. Nach dem Übersetzen eines Textes wurde z.B. die Frage gestellt, wie wir das jetzt nächsten Sonntag predigen würden. Diesen Brückenschlag zwischen wissenschaftlichem Arbeiten und Pfarramt immer wieder zu machen war eine gute Übung, weil sie mir gezeigt hat, dass alles, was ich Studium lerne, später in der Praxis relevant ist.
Was macht den Beruf als Pfarrerin für Sie zu etwas Besonderem?
In Bayern wird großer Wert auf das gründliche theologische Studium gelegt. Das ist im weltweiten Vergleich keine Selbstverständlichkeit sondern eher die Ausnahme. Ich bin sehr froh, dass ich ein so gutes und gründliches Studium als Grundlage für meinen Beruf bekommen habe. Außerdem finde ich, dass wir als Pfarrer*innen, ähnlich wie Lehrer*innen eine gute Anstellung mit großen Sicherheiten haben. Beides, die Bildung und die stabile Organisation im Hintergrund, sind zwar keine „großen Knaller“, aber sie sind, wenn man sich andere Kirchen anschaut, schon besonders.
Inhaltlich ist der Beruf als Pfarrerin von sehr viel Gestaltungsräumen geprägt. Man braucht viele Ideen, um als Gemeinde zusammen oder manchmal auch alleine den Leuten das Evangelium näher zu bringen. Kunst, Musik, Literatur, Architektur und manchmal ganz einfache Verwaltungsvorgänge spielen da oft eine Rolle.
Zweifeln Sie manchmal an Ihrem Glauben?
An meinem Glauben an Gott habe ich noch nie gezweifelt. Vielleicht liegt das daran, dass ich schon als Kind sehr viel an biblischen Geschichten mitbekommen habe und immer Fragen stellen durfte.
An Menschen verzweifle ich oft, aber das liegt vermutlich daran, dass ich nur ungern Kompromisse mache und eher zu hohe als zu niedrige Ansprüche habe.
Welche Rolle spielt die Bibel in Ihrem alltäglichen Leben?
Sie ist mein Lieblingsbuch, in dem ich Gott immer wieder neu entdecke, das gilt für das Alte und für das Neue Testament. Ich lese sie immer wieder, manchmal auch ganze Bücher der Bibel am Stück. Natürlich ist die Bibel nicht nur das Heilige Buch der Christen, sondern das Alte Testament ist auch für Juden ein großer Schatz. Dass ich in den letzten Monaten mit Juden in Augsburg ins Gespräch über ihre wöchentlichen Lesungen gekommen bin, ist eine neue unglaublich wertvolle Entdeckungsreise für mich.
Damit die Bibel für mich lebendig wird, muss ich mich über sie mit anderen unterhalten oder sie im Gottesdienst vorgelesen bekommen. Die Heilige Schrift wird für mich dann zum Wort Gottes, wenn sie verkündigt wird.‚
Wie gehen Sie mit kritischen Anfragen an Ihren Beruf um? Trifft Sie das oder sind Sie da abgebrüht?
Sich selbst zu hinterfragen, finde ich wichtig, auch wenn es anstrengend ist. Die meisten großen Gestalten der Bibel mussten erst von anderen bzw. von Gott von ihrem Auftrag überzeugt werden. Das galt für Mose, der meinte, er wäre als Redner nicht gut genug, für David, von dem alle meinten, er wäre zu jung, für Maria, die vom Engel Gabriel überredet werden musste, den Retter der Welt hervorzubringen und Jesus selbst wurde auch sein ganzes Leben lang von den Pharisäern infrage gestellt. Er hat sich den Anfragen aber regelmäßig gestellt und diskutiert.
Ich weiß, dass es andere Modelle der Gemeindeleitung gibt, denn das habe ich ja in den USA selbst erlebt. Dass wir aber als große Kirche alle Kosten durch die Kirchensteuer gerecht verteilen und dadurch sehr viele Leute, die (noch) nichts/ nichts mehr oder nur sehr wenig haben, trotzdem Mitglieder sein können, ist meiner Meinung nach sehr biblisch. Bei uns dürfen auch diejenigen mit dabei sein und bekommen die gleiche „Behandlung“ wie diejenigen, die viel zur Gemeinde beitragen können.
Es gibt schon Situationen, in denen ich merke, dass ich abgebrüht reagiere. Wenn das passiert, dann ist meistens Zeit für einen Urlaub, denn weil ich mit Menschen arbeite, will ich nicht dickhäutig sein.